Italienische Gerichtsbarkeit bei EU-Digitalverträgen: Ausschlaggebend ist die Leistungserbringung in Italien, nicht der Wohnsitz des Beklagten in Deutschland

Ein aktuelles Urteil wendet Art. 7 Buchst. b der Brüssel-Ibis-Verordnung an und bestätigt die zentrale Bedeutung des Erfüllungsorts bei grenzüberschreitenden Cloud-Dienstleistungen.
10. Mai 2025 – Eine richtungsweisende Entscheidung hat den Grundsatz bekräftigt, dass im Rahmen von Dienstleistungsverträgen innerhalb der EU die Gerichtsbarkeit nicht dem Wohnsitz des Beklagten folgt, sondern dem Ort, an dem die Dienstleistung erbracht wurde oder hätte erbracht werden sollen. Dies ergibt sich aus Art. 7 Buchstabe b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, der im Streitfall zwischen einem italienischen Anbieter digitaler Dienstleistungen und einem in Deutschland ansässigen Gewerbebetrieb zur Anwendung kam.
Rechtlicher Rahmen: Art. 7 Buchst. b im Zentrum der Entscheidung
Die Brüssel-Ibis-Verordnung sieht abweichend vom allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes (Art. 4) vor, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Person in einem anderen Staat verklagt werden kann,
„im Fall der Erbringung von Dienstleistungen: vor dem Gericht des Ortes, an dem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ (Art. 7 Nr. 1 Buchst. b).
Im vorliegenden Fall bestand die Leistung in der Speicherung steuerrelevanter Daten in einer Cloud-Infrastruktur, die sich physisch auf Servern in Italien befand. Diese technische Verortung war entscheidend dafür, dass die italienische Gerichtsbarkeit begründet wurde, obwohl der Schuldner seinen Sitz in Deutschland hatte.
Die Leistung als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit: Die Rolle des Servers
Die Klägerseite legte dar, dass die Dienstleistung Teil einer Vereinbarung war, die die zertifizierte Speicherung von steuerlichen Daten aus mit TSE-Systemen verbundenen Kassensystemen vorsah. Die physische Lokalisierung der Server in Italien war ausschlaggebend: Da dort der technische Ort der Dienstleistungserbringung lag, wurde die vertragliche Verpflichtung dort erfüllt.
Unionsrecht, Vertragstreue und Geldforderungen
Die beklagte Partei hatte trotz unterzeichneter Vertragsbindung die italienische Zuständigkeit bestritten und den Leistungsgegenstand mit früheren, nicht beanstandeten Diensten verwechselt. Dieses Verhalten wurde als taktisch und im Widerspruch zu Treu und Glauben gewertet (Art. 1375 Codice Civile, Art. 1.201 UNIDROIT, Art. 1:102 PECL).
Die Zuständigkeit Italiens wurde zudem durch die „Mobilität“ der Geldforderung gestützt: Mangels anderslautender Vereinbarung ist die Zahlung am Wohnsitz des Gläubigers zu leisten – also in Italien.
Verbindung zum europäischen Mahnverfahren
Der Fall hatte seinen Ursprung in einem Europäischen Zahlungsbefehl gemäß Verordnung (EG) Nr. 1896/2006. Bereits in diesem Verfahrensstadium hatte das italienische Gericht seine Zuständigkeit gemäß den Art. 6 und 7 der Verordnung geprüft und somit jegliche Unwirksamkeit ausgeschlossen.
Vollstreckung in Deutschland durch gegenseitige Anerkennung
Obwohl das Urteil in Italien gefällt wurde, kann es dank der unmittelbaren Wirkung der Brüssel-Ia-Verordnung in Deutschland vollstreckt werden – durch den zuständigen deutschen Gerichtsvollzieher, ohne dass ein gesondertes Anerkennungsverfahren erforderlich ist.
Der Fall verdeutlicht und stärkt ein wesentliches Prinzip: Bei grenzüberschreitenden digitalen Verträgen bestimmt der tatsächliche Erfüllungsort die Gerichtsbarkeit – nicht der ausländische Wohnsitz des Kunden. Ein wirksamer Schutz für italienische Unternehmen, die EU-weit über digitale Infrastrukturen tätig sind.